Alle Kunst ist Abstraktion. Ohne Ausnahme. Was sie an Wirklichkeit in Form bannte, wird selber wirklich. Selber etwas, nur nicht dasjenige, was ihm Vorwurf war. Ganz gleich wie ähnlich
sie sich sein mögen. Ein Bild von einem Apfel ist kein Apfel. Allein unsere Erinnerung an die Ereignisse der Welt spielt uns zwischen beidem die Beziehung vor. Doch ist es nicht Identität
untereinander, sondern je für sich: Apfel und Apfelbild. Wer daran seine Zweifel anmeldet, dem sei in beiden Fällen die Bissprobe empfohlen, das Ergebnis dürfte augenblicklich überzeugen.
Zudem: jedes Bild bedarf des Mediums, sonst mag es zwar als elektrische Ladung in unseren Gedanken aufscheinen, aber eben nur dort und nicht außerhalb unseres eigenen Seins. Wenn es aber
Bild ist, ist es Stoff, ganz gleich ob Photo, Graphik, Zelluloid, magnetischer Datensatz oder Marmorskulptur. Und als Stoff muss es notwendig sein. Geht der verloren, ist das Bild sowenig
noch mehr Entität wie der verspeiste und verdaute Apfel. Form, nicht Idee, transportiert das Wesen der Dinge, mögen die Philosophen sich an dieser Nuss auch die Zähne ausbeißen.
Nun gibt es auch Ideenbilder. Die Formen beispielsweise, die unsere umgebende Welt in dieser Art nicht bietet, die Ableitungen, die Perfektionen. Während die Natur im sympathisch
Ungeschliffenen verbleibt. Die Geometrischen zum Beispiel, Kreis, Kugel, gleichseitiges Dreieck, Würfel, Quadrat. Und alle ihre Verwandten, als da wären: Sphären, Rhomben, Polyeder,
Ellipsoide: zwar, auch dies existiert nicht ohne die Anregung aus der natürlichen Welt, doch sind Orangen oder Kirschen nicht wirklich kugelförmig, Perlen kaum je vollkommen. Am ehesten
noch das Rund von Iris und Pupille. Und auch die Kristalle tendieren eher zu unvorhergesehener Exzentrizität, als zum glatten Gleichmaß. Und dennoch wohnte der Welt die Geometrie schon
inne, ehe der erste Mensch imstande war, sie nachzuzirkeln und ihre Winkel zu bemessen. So ist auch die Geometrie Form nach Form, nie Form zuvor für sich. Niemand wäre imstande, ohne die
Bilder, die er gesehen hat, ohne den Fundus der Rückerinnerungen, eigene zu schaffen. Dann aber ist die Spanne der Möglichkeiten unendlich.
Wenn also Hans Karl Zeisel ein Oeuvre ausbreitet, das sich anscheinend ganz auf die geometrische Abstraktion eingelassen hat, die Untersuchung geometrisierender Erscheinungen, ihre
Gestaltwandlungen und den Kosmos ihrer Variablen, dann mag das auf den ersten Blick wie eine Verstrengung wirken. Aber es ist tatsächlich voller figürlicher Phantasie. Nicht Gestalten im
erzählerischen Sinne, doch merklich Akteure. Und wenn dies hier auch vordergründig eine gewisse Verwandtschaft mit den Reihentechniken der konkreten Kunst hat, so exekutiert dies doch nie
eine Versuchsanordnung durch sämtliche denkbaren Positionen einer Form, die Konstellationen mehrerer, oder die Konsonanzen einer Farbskala, ihre Interaktionen. Nichts ist auf
Vollständigkeit angelegt. Stets bleibt das Element der unvermuteten Überraschung. Und zwar auch stets: das einer bildnerischen Unvermutetheit. Dem mag zuarbeiten, dass er sein Arbeitsfeld
in der angewandten Kunst angesiedelt hat, die es sich eben nicht leisten kann, mechanisch oder gleichförmig zu sein. Die gestaltete Seite, die das Auge nicht fesselt, und sei es noch so
unscheinbar und leise, hat nichts zu bieten, und sie erfüllte nicht ihren ureigensten Zweck.
Nun braucht es aber dafür keinesfalls Rumor oder Krawall. Deren Wirkung hält nicht an. Die der Poesie hingegen sehr wohl. Und das eigentümlichste, das nachhalligste Element dieser Werke
ist ihre Poetik. Die umso erstaunlicher anmutet, das sie ja vollkommen ohne Worte auskommt, allein mit der Figur. Und mit wenig Klängen, auch wenn da und dort eine farbliche Extravaganz
aus der Reihe tanzt. Das meiste ist gestimmt, auf Zwei- auf Dreiklang. Ein Rot, ein Weiß, ein Schwarz, mehr bräuchte es letztlich nicht. Oder die Grundfarbenskala mit ihrem spektralen
Fächerglanz. Nur gelegentlich gedecktere Töne. Nicht selten aber setzt sich die Bildidee fort von einem auf ein nächstes und übernächstes, die gemeinsam die Akzente verschieben und den
angewandten Formen neue Facetten entlocken, ein weniges gedreht, ein weniges versetzt und verschoben. Und über die Grenzen der Gattungen und Disziplinen hinweg mag das die Ansprüche
klassischer Graphik ebenso erfüllen können, wie die der Malerei, der Collage, des sich in den Raum ausbreitenden Objektes.
Das spielt sich souverän durch Varianten und Variable, spiegelt, teilt, bricht etwa den Kreis auf in Segmente und fügt diese neu zusammen, so dass zwar noch die Kreisanmutung besteht, das
gewesene vollkommene Rund aber ein merkliches Eigenleben entwickelt, Charakter, Turbulenz sogar, Dynamisierung. Einmal die eigene Abgeschlossenheit verlassend, setzt es Form um Form frei,
keine ist die andere: das Erstaunlichste ist die Uferlosigkeit der Möglichkeiten, die sich daraus ergibt.
Erstaunlicher noch, dass es sich nie im Systematischen verliert. Das Spiel mit dem Formvokabular mag streng wirken, bei näherer Betrachtung aber ist es stets circensisch, die Lösung immer
eine denkbar spannende, denn aus der Fülle der Ereignisse gelingt es ihm immer, die überzeugend bildnerische und unerwartete zu filtern.
Was außerordentlich schwierig ist.
Wenn es aber einfach wäre, dann wäre es auch keine Kunst.
Gerhard van der Grinten
13./16.III.2016
Prof. Eugen Gomringer
Hans Karl Zeisel ist es wichtig, die Intensität, Vielfalt und Schönheit der Konkreten Kunst anhand seiner Werktiefe zu vermitteln. Bereits im Alter von 13 Jahren hat er, wahrscheinlich
unbewusst, sich mit geometrischen Formen auseinandergesetzt. Es reizte ihn, was aus den Grundformen-/bausteinen Kreis, Quadrat und Dreieck zu machen ist. Auch in der Ausbildung zum
Schriftsetzer, der Fotosatz kam gerade auf, nutzte er diese neuen Möglichkeiten um konkrete Bilder zu realisieren. Durch seine Tätigkeit als Grafiker und Werbefachmann hatte er die
Malerei bis zum Jahre 1992 fast ganz in den Hintergrund gestellt. Als Ausgleich zur täglichen Hektik setzte er sich wieder vor die Staffelei und malte abstrakt - was nach geraumer Zeit
für ihn total unbefriedigend war - nicht unbedingt vom Ergebnis her, sondern es war ihm zu einfach. „Ich wollte, wie es das Manifest der Konkreten Kunst ausdrückt, neues Schaffen so wie
man es zuvor noch nie gesehen hat...“
Die Entdeckung seiner Formenwelt, im Jahr 1999 war für ihn lange nicht zu fassen - anfangs war er sich nicht sicher, ob dies, was er entdeckt hatte, nicht schon durch einen Kollegen
verwirklicht worden war. Deshalb war eine Tour angesagt, die ihn, mit seiner Frau, seiner Muse, durch alle relevanten Museen zur Konkreten Kunst in halb Europa führte. Begonnen haben sie
natürlich im Haus Konstruktiv in Zürich. Dann kaufte er sich noch jedes Buch über Konkrete Kunst, dessen er habhaft werden konnte. Nichts wäre für ihn schlimmer gewesen, als an
plagiativer Kunst zu arbeiten!
Als er sicher war, einzigartig mit seiner entdeckten Formenwelt zu sein, begann für ihn eine Zeit des Experimentierens, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Was ist noch machbar?
Was steckt noch drin? Wie verhalten sich seine Formen zu Quadrat, Kreis und Dreieck?
HKZ befindet sich auf einer spannen-den Reise, auf der er Interessierte mit seinen Tableaus gerne ein Stück mitnehmen möchte.
Unendliche Möglichkeiten - seine Formensprache ist in den unterschiedlichsten Disziplinen anwendbar: in der konkreten Malerei, im Interieur-Design (Teppiche, Stühle, Tische), in der
Architektur und bei der Gestaltung von aussergewöhnlichem Schmuck. Ein Sammler seiner Werke hat für seine Formen eine schöne Analogie aufgezeigt, die HKZ, da er in einem Weinbauort lebt,
natürlich besonders gefällt: „Ihre Formen sind wie Weinblätter, vom Charakter sofort als solche erkennbar - ihre Zahl ist unendlich und es gibt nicht zwei darunter, die zu 100% identisch
sind. Dies trifft auch auf ihre Formen zu.“
Er selbst sieht seine Formen „als Gegenpol zu gewohnten, im Alltäglichen immer wiederkehrenden Strukturen, Flächen und Konstrukten. Der Betrachter entdeckt neue Formen - Formen, die es so
noch nie gab, die einem so in der Natur oder Architektur nicht bewusst, zumindest nicht vordergründig, begegnen.“
„Zeichen und Formen entwickeln sich manchmal äusserst langsam; nicht selten vergehen Jahrhunderte, bevor eine Entwicklungsstufe erreicht oder eine neue Kombination erfunden
wird.“
„Der Weg zur Form -
Vom Chaos zur Geometrie“
von Mark Verstockt
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
lassen Sie mich ein paar kurze Sätze zu den hier ausgestellten Arbeiten von Hans Karl Zeisel sagen.
Beim Betrachten der Bilder werden sie schnell Gesetzmäßigkeiten entdecken, die für diese Objekte charakteristisch sind. Da ist zum einen die Farbe und zum anderen die quadratische oder
auch hochrechteckige Form. In Reihen nebeneinander gehängt ergeben sich vielfältige Variationen, die sich innerhalb der gleichen Grundmaße ereignen und so ein abwechslungsreiches und
durchaus dekorativ zu bezeichnendes Ornament bilden, das sich besonders für den Kontext neuerer Architektur eignet. Schaut man etwas genauer hin, entdeckt man geometrische Grundformen wie
Quadrate, Rechtecke, Kreissegmente, die miteinander variiert werden und bestimmte Wirkungen erzeugen, die im Wechselspiel der nahezu monochrom aufgetragenen Farben eine Spannung im Bild
aufbauen und in der Zusammensetzung mit weiteren Bildern einen Bewegungsablauf suggerieren. Dies gilt vor allem für die immer wieder in den Bildern auftauchende Stella genannte Form, die
gewissermaßen zum Markenzeichen von Hans Karl Zeisel geworden sind. Die rundliche Form mit den zackigen Ausbuchtungen löst beim Betrachter ein Bewegungsmoment aus, den z.B. ein auf der
Spitze stehendes Quadrat oder eine hochrechteckige Fläche nur bedingt hervorrufen.
Eine weitere Charakteristik wird durch die Farbgestaltung erreicht. Wenn Hans Karl Zeisel in einem roten Fond weiße und schwarze Formen malt, beginnen diese sich aus dem Fond zu lösen und
ein Vorne und Hinten zu bilden, woraus eine Räumlichkeit entsteht, die allein auf der Farbe und nicht wie bei der Linearperspektive auf einem zentralen Punkt beruht. Soweit zum
Erscheinungsbild der Objekte von Hans Karl Zeisel.
Woher kommt diese Art der Gestaltung, welche Vorläufer hat sie? Es sind mehrere Quellen, die mit dem Beginn der Loslösung der Bildenden Kunst von ihrer ursprünglichen Funktion als
Abbildung von Sichtbarem zu tun haben. Nachdem die Fotografie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit bot, mit Hilfe eines optischen Gerätes und chemischer Substanzen Abbilder
der sichtbaren Welt herzustellen, begann die Bildende Kunst, sich andere Aufgabenfelder zu suchen.
Eine dieser neuen Aufgaben entwickelte sich aus einer völlig andersartigen Architekturauffassung, die nach dem ersten Weltkrieg entstand und im Dessauer bzw. Weimarer Bauhaus ihre
institutielle Einrichtung fand. Eine weitere Quelle war die in den Niederlanden sich etablierende Architektengruppe „De Stijl“. Beide Gruppierungen verband die Vorstellung einer von der
Technik dominierten Produktionsweise, die - ausgehend von der Mathematik, im Besonderen von der Geometrie und der Arithmetik - sich auf das Wesentliche beschränkt und das Individuelle in
der Variation der Grundelemente ausdrückt.
Was in der Architektur sich derart manifestiert, wurde von der Bildenden Kunst aufgegriffen und auch im Sinne eines Gesamtkunstwerkes mit der Architektur verbunden, so dass die von den
Künstlern hergestellten Objekte das sichtbar machten, was als Grundidee des neuen Denkens vorhanden war. Die politische Dimension dieser neuartigen Auffassung wurde in den Anfangsjahren
der Russischen Revolution offenkundig, wo sich das neue Zeitalter im Städtebau und der Bildenden Kunst ankündigte, doch bald von der reaktionären stalinistischen Politik abgebrochen
wurde. Im Westen konnte sich der neue Städtebau in den fortschrittlichen Architekturkreisen halten und in etlichen Projekten verwirklicht werden. Eines davon ist nur wenige Kilometer von
hier auf dem Killersberg entfernt, wo 1927 die Weißenhofsiedlung im Rahmen der Ausstellung „Internationale Neue Baukunst“ entstand, wo namhafte Architekten Musterhäuser bauten, die heute
zu den Inkunabeln der Moderne gehören.
Die Kunstrichtung, die nach diesen Kriterien Bildobjekte schuf, wird heute mit dem recht verwirrenden Begriff „Konkrete Kunst“ bezeichnet. Der alternative Begriff „Konstruktivismus“
umschreibt eher, was damit gemeint ist.
Die Arbeiten von Hans Karl Zeisel kann man dem Konstruktivismus zuordnen, der seit den Zwanzigerjahren weltweit seine Verbreitung fand und eine Vielzahl von künstlerischer Produktion
hervorbrachte, die wie sie am Beispiel von Hans Karl Zeisel sehen können, bis in die Gegenwart anhält. Ein weiteres verbindendes Merkmal dieser Richtung ist die Verbindung von
Handwerklichem, Technischem und Künstlerischem, was sich hier sinnfällig nachvollziehen läßt.
Dr. Helmut Herbst †
05.12.2002